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Wer Unrecht lange gewähren läßt…

Deutschland hat eine neue Asyl- und Flüchtlingsdebatte

Haben wir eine neue Asyl- und Flüchtlingsdebatte?! Ja, die haben wir. Am Wochenende titelte ein Nachrichten-Magazin aus Hamburg bereits „Fremdenhass vergiftet Deutschland“ und ein weiteres Nachrichten-Magazin aus München hatte den Aufmacher „Die Wahrheit über falsche Flüchtlinge“.

Ist es aber tatsächlich so? Wird da nicht eine Auseinandersetzung angeregt, die suggestiv etwas hervorlocken soll, dass sich eigentlich gar nicht stellen würde, gebe es diese medial-politische Diskussionen gar nicht?! Wird das politische Handeln in dieser Thematik stringent und bürgernah sein?! Braucht Deutschland Zuwanderung?

Für und Wider

Da wird pauschalisiert. Das „Für und Wider“ kontrovers geführt und es gehen vermeintlich prominente Wichtigtuer aus Sport, Kultur und sonstiger Gesellschaft auf die Barrikaden, um politische Korrektheit zu üben. Nicht gerade geistreich und alles andere als sachlich.

Daneben gibt es die emotional fehlgeleitete „Menge“, die im Verloren sein ihres eigenen Selbst zu Gewalt gegen „die Anderen“ aufruft und diese sogar ausübt! Nicht zu tolerieren.
Was bliebe jedoch zu beiden politischen Gruppen zu sagen? Hier reicht ein Einstein: „Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit dem Radius Null – und das nennen sie ihren Standpunkt.“

Die reale Lage

Wie ist die Lage aber tatsächlich?! Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Mitte März berichtete, leben in Deutschland knapp 8,2 Millionen Ausländer „mit ausschließlich ausländischer Staatsangehörigkeit“.

Dazu zitierte die „FAZ“ den entsprechenden Bericht des Statistischen Bundesamtes von 2014. So wurde laut dem Statistischen Bundesamt zum Jahresende 2014 die höchste Zahl von Ausländern seit Start des Ausländerzentralregisters im Jahr 1967 erfasst. Im Jahr 2014 stieg demnach die Zahl der Ausländer gegenüber 2013 um rund 519300 (6,8 Prozent). Dazu kommen deutsche Staatsbürger mit doppelter Staatsangehörigkeit und Aussiedler. Das sind die bloßen Zahlen und Fakten.

Gibt es nun angesichts dieser Entwicklung Gewalt und extremes Misstrauen gegenüber den Zugereisten und Zuwanderern?! Ja, die gibt es. Leider – und durch nichts zu rechtfertigen. Nicht durch persönliche Existenzängste. Nicht durch Naivität. Nicht durch Emotionalität.

Scheinheiliges Spiel der Politik

Aber: Die Politik im Land und Bund spielt ein scheinheiliges Spiel, argumentiert janusköpfig. Ob Christdemokraten, Christsoziale oder Sozialdemokraten. Einerseits wird eine nicht genau definierte „neue Willkommenskultur“ angepriesen, andererseits werden „markige Sprüche“ gegen die unkontrollierte Zuwanderung von Menschen, die sich nicht integrieren lassen wollen, geäußert.

Es werden, oftmals im Eilverfahren, Zeltlager errichtet – an sozialen Brennpunkten, in Gewerbegebieten und mit unzureichenden Informationen an die jeweiligen Städte bzw. Gemeinden, die dann finanziell, materiell und auch ideell überfordert sind.

Blick auf 1992

Hatten wir das nicht schon einmal?! – Als die „große Politik“ menschliche Tragödien instrumentalisierte, ja einen Zustrom von Flüchtlingen bewußt eskalieren ließ, um das Asylrecht 1992 „neu zu definieren“.

Ja, vor fast 25 Jahren war das, als „eine riesen-große Koalition“ dieses durchzog. Verbunden war die damalige Diskussion mit Übergriffen auf Ausländer in Hoyerswerda, in Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen, in Dresden, und und und

Seinerzeit wurden Zuwanderer in zentrale Unterkünfte untergebracht, die nicht ausreichten. Auch Zeltlager errichtet und diese Unterkünfte befanden sich zudem nicht selten in sozialen Brennpunkt-Vierteln mit hoher Arbeitslosigkeit.

Die „große Politik“ nahm damals bewußt etwas in Kauf und wunderte sich plötzlich, dass sie die Geister, die sie rief, nicht mehr los wurde.

Neue Willkommenskultur?!

Wie sah und wie sieht „die Willkommenskultur“ aber damals wie heute aus?! Ja, es gibt nach wie vor die „Interkulturellen Wochen“. Da kochen dann Russen Soljanka, Polen ihr Bigos, die Chinesen ihren Reis nebst süß-saurer Ente, die Tschechen brauen ihr Pilsener, die Franzosen trinken Champagner, die Schotten ihren Whisky und die Amerikaner mampfen ihre Burger. Dazu darf dann auch nicht der „gemeine Deutsche“ mit seinem „Eisbein mit Sauerkraut“ nicht fehlen.

Nur: Das alles ist Folklore, ja Real-Satire, die das Unterschiedliche betont, aber nicht die Gemeinsamkeiten herausstellt. Eine Serbin, eine Afghanin, eine Französin, eine Amerikanerin, eine Inderin, eine Syrerin oder eine Argentinierin wollen genau auch das, was ihre Altersgenossinnen in Deutschland wollen – eine faire Chance, ein Leben ohne Gewalt, um sich selbst und ihre Talente verwirklichen zu können.

Deutsche und globale Realität

Das Problem ist nur, dass auch Deutschland ein Land mit riesigen Problemen ist – trotz aller statistischer Schönfärberei und trotz des relativen Wohlstandes vornehmlich im Westteil des vereinten Mutter- und Vaterlandes und einiger Wohlstands-Oasen im Ostteil. Daran kommt man nicht vorbei und das ist die bittere Realität.

Und jetzt kommen wir zu den Hauptproblemen, die kaum beachtet werden und die aber maßgeblich sind, möchte man seitens der Politik wirklich, dass immer weniger Menschen ihre Heimat verlassen müssen, was ein schwerer-trauriger Schritt ist, denn es werden „Wurzeln“ gekappt, nahe Angehörige zurückgelassen und die Heimat aufgegeben!

Es toben derzeit in der Welt 57 Kriege, kriegerische Auseinandersetzungen und Konflikte auf allen Kontinenten. Hass wird geschürt, wobei die vermeintliche Unterschiedlichkeit der Religionen, die sämtlich auf dem Prinzip der Nächstenliebe beruhen, als Anlass dient. Geschürt werden diese Konflikte auch vom angeblich so demokratischen Staatenblock.

Wer sind denn die größten Waffenlieferanten global betrachtet? Die USA (1.Platz), aber auch Deutschland (3.Platz)! Nachhaltige Entwicklungshilfe in Länder der so genannten Dritten Welt und in Schellenländer – zweckgebunden für den Aufbau eines Bildungswesens, von industriellen Strukturen und zum Aufbau einer grundlegenden Infrastruktur – ist meistens besser, als die Länder „aufzugeben“ und somit einen Flüchtlingszustrom in Kauf zu nehmen, als immer mehr Waffen in Krisengebiete zu liefern. Immer daran denken: Die Feinde meiner Feinde sind noch lange nicht meine Freunde!

Historische Wahrheiten

Eine Erhöhung der Entwicklungshilfe wäre konstruktiver, als nur das Symptom (Flüchtlingszustrom) zu lindern. Die jeweiligen Länder, oftmals durch jahrzehntelange Kolonialzeit ausgeplündert und danach von Despoten regiert, die maßgeblich von Washington, Moskau, Bonn oder Ost-Berlin, oder jetzt „Gesamt-Berlin“, unterstützt wurden, haben jedenfalls eine Zukunft verdient.

Wer unterstützte denn das Apartheid-Regime in Südafrika, um vorgeblich den sich ausbreitenden Kommunismus in Afrika „einzudämmen“ – Washington und Bonn. Wer förderte den „roten Negus“, das Regime von Mengistu Haile Mariam, in Äthiopien? Herr Honecker und seine DDR!

Wer intervenierte 1979 in Afghanistan und errichtete ein prosowjetisches Regime in Kabul – Moskau. Und wer mischte sich ebenfalls in den Afghanistan-Konflikt ein und förderte „Rebellen“, die keinen maßgeblichen Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung hatten – Washington. Und schaut man sich weitere Despoten und Diktatoren in Lateinamerika, Afrika und Asien – früher und heute – so an und wer diese alle unterstützte bzw. förderte, dann muß man deutlich sagen: Deutschland, früher Westdeutschland und die DDR, heute das vereinte Deutschland, tragen eine erhebliche Mitschuld an der negativen Entwicklung dieser Länder, haben also auch eine Mitverantwortung daran, dass es so viele Flüchtlinge gibt. Wobei natürlich Washington, Moskau, Peking, Paris, Rom, Lissabon, Madrid oder London das ebenso betrifft…

Was nun?!

Es gab einmal einen aufrechten Bundeskanzler, der vor dem Hintergrund des Untergangs der realsozialistischen Staaten selbstkritisch anmerkte: „Wo immer schweres Leid über die Menschen gebracht wird, geht es uns alle an. Vergeßt nicht: Wer Unrecht lange geschehen läßt, bahnt dem nächsten den Weg!“.

Was Brandt damit auch meinte: In der Folge seiner Ostpolitik, die auf die friedliche Überwindung der stalinistischen Regime in aller Welt zielte, wurden die Oppositionspolitiker und Bürgerrechtler in den jeweiligen Ländern des Ostblocks nicht immer, aber doch oft vernachlässigt. Es wurde sich diesen zwar ebenfalls zugewandt, aber nur halbherzig, sofern sie in die eigene Strategie passten.

Man bemühte sich zwar um sie, kaufte einige aus den Gefängnissen frei, gab moralische Unterstützung, aber es hielt sich in Grenzen… Das war in Polen (Solidarnosc) so, in der DDR (Friedensbewegung ab den 1970ern) so, in der Tschechoslowakei (Charta 77) so oder in Ungarn (die so genannten „Gulasch-Kommunisten“…) so.

Man ließ diese nicht völlig im Stich, hatte diese aber oft nicht „so richtig“ auf dem politischen Radar. Hat man daraus etwas gelernt, hat man die Worte Brandts begriffen?! Leider nicht.

Primat der Wirtschaft

Das Primat der Wirtschaft siegt all zu oft über die Politik, die sich willfährig der Ökonomie unterordnet. Menschenrechte, ganz schön, aber Handel und Profit sind wichtiger. Kaum soll das Embargo gegenüber dem Iran fallen, wer ist schon in Teheran?! Unser Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Man will halt schnell Geschäfte machen… Dagegen ist nichts einzuwenden! Aber warum war und ist „frau“/man nicht ähnlich schnell bei den iranischen Oppositionspolitikern?!

So bleibt „die Strahlkraft“ der real existierenden Demokratie sehr begrenzt. Die Doppelzüngigkeit wird deutlich. Und wenn in Deutschland Flüchtlinge ankommen, die wirklich Hilfe benötigen, weil sie wirklich aus politischen Gründen in ihren Heimatländern verfolgt werden, schlägt ihnen Abneigung entgegen.

Die Flüchtlinge und der „Markt“

Neulich sprach ich mit einem Flüchtling aus Afghanistan und der zitierte – übrigens in einem besseren Deutsch als mancher führender deutscher Politiker – einen Gymnasiallehrer (Reiner Klüting) aus deutschen Breiten: „Nur der Flüchtende kann den Schwindel der Freiheit aufspüren.“.

Da er keine „markt-konforme Ausbildung“ hatte – also Informatiker, Maschinenbau-Ingenieur, spezialisierter Naturwissenschaftler, Handwerker, Fußballer, Boxer oder Schuhputzer – wurde im suggeriert, dass man ihm hier leider keine Chance geben könne. Und außerdem entwickele sich Afghanistan doch positiv, wie auch unsere Frau Verteidigungsministerin meine…

Tja, wer es dann glaubt. Er zog von dannen und wohnt jetzt dort, wo Aufrichtigkeit, Mitmenschlichkeit und Tolerant nicht nur Worthülsen, sondern Realität sind – in Norwegen.
Die dortigen „Wikingerinnen und Wikinger“ waren aber schon immer ein geistreiches Volk. In weiser Voraussicht blieben und bleiben sie der EU und dem EURO fern.

Der „alte Kontinent“ und die Flüchtlinge

Und haben auch weniger Probleme – mit ihrer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklung. Die Länder, die eilfertig der EU und dem EURO beitraten, haben – bis auf wenige Ausnahmen – mit immensen Problemen zu kämpfen: mit Massenarbeitslosigkeit, mit politischen Extremisten aller politischer Richtungen, mit Schulden und mit hoher Armut. Der „alte Kontinent“ ist 2015 – entgegen aller offiziellen Beteuerungen aus Berlin – in keinem guten Zustand.

Glaubt man allen Ernstes, dass Länder, in denen eine hohe Massenarbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen, herrscht, eine gute Willkommenskultur gedeihen kann?!

… Auch in Deutschland gibt es Regionen, die von der „Zukunft abgehängt wurden“. Wie geht man hier zudem mit hoch Qualifizierten um, die nicht „markt-konform“ sind, die sich nicht der selbst ernannten Eliten beugen?! Diese werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, werden zu Flüchtlingen im eigenen Land! Werte „große Politik“, Ihr solltet Euch etwas schämen…

Ihr spielt Flüchtlinge gegen „Alteingesessene“ aus? Durch suboptimales Handeln (Zeltlager!) schafft Ihr unhaltbare Situationen, die zu Eskalationen führen! Und ihr steht für eine „doppelbödige Argumentation“ a la „Flüchtlinge sind nur willkommen, wenn sie uns nützen.“, um gleich wieder verbal zurück zu rudern!

Was erwartet uns?

Deutschland erwarten in diesem Jahr mindestens 500000 Flüchtlinge! Sagt das doch ganz deutlich! Wir werden helfen, nach besten Möglichkeiten, aber dauerhaft wird das nicht möglich sein. Sofern sich die Lage in den Herkunftsländern ändert – und hier ist geistreiche Diplomatie gefragt – sollte ein Weg zurück gesucht werden. Denn: Die einzelnen Länder müssen neu aufgebaut werden, mit neuem Leben erfüllt werden und benötigen ihrerseits dringend Fachkräfte.

Warum gibt man den Flüchtlingen jedoch nicht die Chance hier zu studieren, sich weiter zu bilden, aktiv zu sein?! Das wäre es doch. Nicht im wirtschaftlichen Interesse der hiesigen Unternehmen, sondern im Interesse des baldigen Wiederaufbaus der Länder in Afrika oder in Asien.

Vergeßt bitte – in Ergänzung von Brandt – ebenfalls nicht: „Man flieht nicht, weil man Angst hat, sondern man hat Angst, weil man flieht.“ (William James, amerikanischer Philosoph und Psychologe)

Viele Flüchtlinge, gerade jene aus Syrien, Libanon oder Libyen, fliehen ja nicht um ins „gelobte Land Deutschland“ zu kommen – dann hätten sie es vor dem aktuellen Bürgerkrieg und Terror in ihrem Land schon längst getan – sondern weil die politische Lage in ihren Heimatländern ein Desaster ist.

Anteil daran haben Washington, Moskau, Peking und Berlin gleichermaßen. Zu lange wurde ein Despot gestützt, um „eine Region nicht zu destabilisieren“, die aber schon längst destabilisiert war. Hier greift Brandts „Wer Unrecht lange gewähren läßt, bahnt dem nächsten den Weg…“ Heute werden Syrien, der Irak oder Libyen von Terror, Mord und Plünderungen heimgesucht – Länder am Abgrund…

Können wir uns da verschließen? Wollen wir „kalten Herzens“ sagen: Die kommen nicht rein! …

Aber: Man sollte auch deutlich machen: Wir helfen Euch, wir unterstützen Euch, aber wenn Euch Euer Land mit neuer politischer Struktur braucht, dann helft bitte, dass Euer Land wieder aufgebaut wird!

Auch ein wirtschaftlich relativ robustes Land, wie Deutschland, wird das Flüchtlingsproblem nicht allein lösen können. Andere EU-Länder, wie Frankreich, Großbritannien, Italien, die Benelux-Staaten, Österreich, Schweden, Finnland oder Dänemark sind ebenfalls gefordert und haben die politische und finanziell-materielle Kraft dazu.

Hilfe, aber nicht nur auf einer Seite

Wir wollen, können und müssen helfen, aber auch unsere Ressourcen sind begrenzt, zumal die hiesigen Probleme ebenfalls nicht kleiner werden. Entweder die „große Politik“ ist in der Lage ein „qualifiziertes Zuwanderungsgesetz“ wie in den USA, Kanada oder Australien auf den Weg zu bringen oder der Weg führt hierzulande zu neuer Gewalt und Destruktivität. Aber wer will das schon?! Doch nur die Wenigsten – oder …

Jetzt ist „frau“/man in Deutschland auf Kompromiss-Suche in der „Flüchtlingsthematik“. Was eigentlich schon längst hätte erfolgen müssen.
Wie meinte schon der amerikanische Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King: „Ein weiser Politiker sucht keinen Kompromiss, der findet ihn…“

Hoffentlich. Auch in M-V und speziell in Schwerin, wo es – übrigens wie in Rostock – in den letzten Monaten montags immer wieder intelligente „Mahnwachen für den Frieden“ gegeben hat (Ohne Resonanz in den Sekundärmedien – leider …)

Marko Michels

 


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